Mein Elternhaus in Lohbrügge

Minne Behr

Minne Behr

Mein Elternhaus in der Billwärderstraße22 (heute Ulmenliet 39)

Das Haus baute sich 1897 mein Urgroßvater Johannes. Siemers als Alterssitz. Er baute sein Haus auf dem Höperfeld. Eine Bezeichnung für eine größere Gemarkung damals. Die Straße Höperfeld erinnert noch daran.

Ich will von diesem Haus erzählen. Da fange ich doch gleich mal mit der Haustür an.

Unter dem Mittelgiebel des Hauses gab es eine große und breite Eingangstür, Farbe blau. Die eine Hälfte der Tür war kassettenförmig verglast. Man konnte also ins Haus hineinsehen. (Diese Tür befindet sich in diesem Haus am selben Platz, kam man durch diese Tür ins Haus. War man in der Diele. Hier gab es eine Garderobe und einen Spiegel. Hier wurden unsere Gäste begrüßt.

Drei Türen hatte die Diele, eine führte ins Schlafzimmer, die zweite war eine Tapetentür und führte in den Waschraum für die Gäste und auch für unsere Familie. Die dritte Tür war die Tür zum Wohnzimmer meiner Mutter und ihren Freundinnen. Leichte Möbel, duftige Gardinen, Blumen auf dem Tisch, Aquarelle an den Wänden. Freundlich, hell.

Durch eine weiße verglaste Flügeltür kam man dann ins Esszimmer, für mich ein schrecklicher Raum! Schwere dunkle Möbel. Dirigiert wurde der Raum von einem gewaltigen Buffet. An der Vorderseite gab es vier Schubladen, rechts und links davon eine Tür. Hinter diesen Türen wurden allerdings für mich sehr geheimnisvolle Dinge aufbewahrt. Vorne auf dem Bord die Teller, Tassen und Gläser kannte ich. Aber dahinter gab es geheimnisvolle Schätze: seidene Servietten aus China mit bunten Haltern, Kerzen und Schälchen, fein bemalt, kleine Tassen und Kannen wie für den Garten, wenn wir mit unseren Freundinnen „Mutter du Kind“ spielten. Und dann waren da noch Tiere aus Porzellan und Vögel, die ganz lebendig aussahen. Und einen recht großen Elefanten. Hineinsehen durfte ich soviel ich wollte. Nur anfassen war nicht erlaubt. Leider!

Dann gab es in diesem Esszimmer einen großen, schweren Esstisch Er war kaum zu bewegen, ließ sich aber endlos lang ausziehen für viele Gäste. Normalerweise standen sechs Stühle am Tisch. Einer hatte Armlehnen und ein vergrößertes Rückenteil. Für den Gastgeber oder einen Ehrengast ?

Ich vergaß zu schreiben, dass auf dem Buffet recht hoch oben 5 Römer standen. Bunte langstielige Weingläser für wohl ganz besondere Gelegenheiten. Ich erlebte keine.

Ja, und zur eventuellen Unterhaltung der Gäste öffnete man eine Tür ins Musikzimmer. Manchmal wurde ihnen dann eine musikalische Kleinigkeit geboten, und ich bekam dort meine ersten Klavierstunden. Nicht zu meiner Freude, drum auch ohne Erfolg.

Durch die nächste Tür kam man in einen kleinen schmalen Flur. Hier kam man zur Toilette, zur Küche und in unsere Wohndiele. Das wichtigste war aber unsere zweite Haustür. Hier spielte sich der Alltag des Hauses ab. Durch diese Tür ging man zum Einkaufen. Hier klingelten Schulfreunde, Nachbarskinder und Freunde! Völlig formlos. Hierher brachte Herr Janotta morgens Milch und Brötchen. Hier kam der Eiermann.

Das Haus in der damaligen Billwärderstraße 22

Hierher kamen auch Bettler und Hausierer. Letztere hatten einen Bauchladen. Das war ein flacher eckiger Kasten und er enthielt Dinge, die die Hausfrau erfreuten: Schnürbänder, Garne zum Stopfen der Strümpfe, Wolle, Nadeln in vielen Größe, auch mal Rasierseife und Rasier ?

Meine Mutter kaufte gern beim Hausierer, es war so praktisch!

Und jetzt zur Küche: gleich rechts stand eine Bank, davor ein Küchentisch mit zwei Stühlen. Hier aßen wir täglich unsere Mahlzeiten. Dann gab es einen Kohleherd, eine Holzkiste mit Deckel, auf dem ich gerne saß. Einen Schrank für alles Mögliche und einen Wasserhahn. Kaltes Wasser lief in ein Becken und gleich ins Siel. Das Ganze war in die Wand und in den Fußboden sozusagen eingemauert.Ich glaube, keine noch so scharfe Axt hätte diesen Trumm zerstören können. Es gab auch noch eine Art Glocke mit Abfluss, wozu auch immer. Nur oben, wo man ein kleines Ding bewegte, um das Wasser fließen zu lassen. Dieses kleine Ding hatte vier kleine Flügel und sah golden aus. Das liebte ich.

Schön war, dass man von der Küche gleich in den Hof kam und zum Garten. Zum Hof gehörte eine große Bauernscheune. Aber davon ein anderes Mal. Mein Großvater war Bauer gewesen. Eine Scheune gehörte zum Haus.

Und jetzt zur Wohndiele. Die Wohndiele war der gemütlichste Raum des Hauses. Worpsweder Möbel, ein Kamin, ein Einbauschrank für Bücher und Noten, eine Kuckucksuhr, Felle auf der Erde für uns Kinder. Hier lasen unsere Eltern bei dunklem Wetter mal ein Märchen vor oder eine selbst ausgedachte Geschichte. Mein Vater traf sich hier regelmäßig mit Freunden zum Musizieren, Querflöte und Streicher. Ich fand das nicht sehr gut. Es war laut und störte beim Einschlafen.

Nun mal weiter durch das Schrankzimmer in den Waschraum: Körperwäsche 6 mal kalt in der Woche, 1 mal warm, falls warmes Wasser auf dem Kohleherd stand Na ja, es war eben so. Heute haben wir ein Bad und auch warmes Wasser selbstverständlich.

Wir kommen zum Schluss. An der Rückseite dieses Raumes führte eine Treppe nach oben ins Atelier. Mein Vater malte. Die Treppe war steil, dunkel, hatte nur ein Geländer und wäre heute Verboten.

Oben hatten auch mein Bruder und ich unsere Räume. Und es gab die Bodenkammer, eine Stöberkammer. Ohne Licht, voll gestellt von Sachen, die nicht mehr gebraucht wurden, aber vorsichtshalber noch etwas aufbewahrt werden sollten. Pütt und Pann, Koffer aus Übersee, kaputte Möbel, Bücher, altes Spielzeug. Für mich ein Paradies. Und in Notfällen ein gutes Versteck.

Ganz zum Schluss noch zum Keller: Er lag unter der Eingangsdiele, hatte eine fast dreieckige Tür, bedingt durch den Bau der Treppe. Es war ein Kellerloch, eine Tür für Zwerge. Wir bewahren trotzdem alle Wintervorräte hier auf.

Im Krieg war dieses Kellerloch sogar unser Luftschutzkeller bei Alarm. Meine kleinen Schwestern lagen dann auf den Apfelborten, um zu schlafen. Axt und Ambosshammer zum eventuellen Ausbuddeln lagen in der Tür bereit; und das unter dem Mittelgiebel des Hauses! Nachgedacht? Nein, nur sich verkriechen. War wohl angesagt, damals im Krieg.

Das wäre alles über das Haus aus meiner Sicht.

Als meine Mutter starb, war ich neun Jahre alt. Für mich und das Haus änderte sich alles. Aber das Leben ging weiter.

 

 

Diese Erzählung wurde von Frau Minne Behr, Enkeltochter von Emilie Günther, verfasst und in den Ausgaben März und Juni 2017  der Stadtteilzeitung Lohbrügge in zweit Teilen veröffentlicht.

Text: Minne Behr
Fotos: Minne Behr, Michael Schütze

 

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